Montag, 29. Februar 2016

Karneval, Schulanfang und weitere Geschichten



Arbeit im Misk’y Wasi:
Die Machtaufteilung in der Stiftung Amazonia hat sich verändert. Neben der Präsidentin, die immer das letzte Wort hat(te), gibt es nun eine neue Administratorin, die Projekte initiiert und Ansprechpartnerin für Verschiedenstes ist. Der Fundación Amazonia steht lediglich genügend Geld bis Ende Mai zur Verfügung. Deshalb müssen sich die Strukturen nun verändern, damit mehr Geld über längeren Zeitraum generiert werden kann. Ende Januar planten wir in stundenlangen Personalversammlungen der beiden Kinderheime über vier Tage die Jahresziele und Strategien. Ich bin gespannt, ob das umgesetzt werden kann. Ich persönlich kann mich momentan immer noch sehr gut einbringen, möchte mich aber mit weiteren Beobachtungen zunächst zurückhalten und abwarten, wie es sich entwickelt.
Ende Januar begannen wir mit den Einschreibungen der Kinder in die zwei Kinderheime (Hogar Mallorca-Jungs- und Hogar Misk’y Wasi-Mädchen-). Insgesamt war viel Andrang, denn die Nachfrage der Kinderheime war groß. Bei der Organisation und Datenaufnahme, zeigten sich direkt viele grundlegende Probleme:
1)      Viele der Kinder kommen von weit her, aus Familien vom Land. Sie treten eine regelrechte Reise an, um in die Stadt zu kommen und ihre Kinder einschreiben zu lassen. Die Dokumente waren häufig unvollständig, da vorher nicht klar gesagt wurde, was gebraucht würde, um sich anzumelden. Aus dem Grund mussten viele der Eltern immer wieder Dinge nachreichen und aufs Neue eine regelrechte Reise antreten. Fehlende Kommunikationsmöglichkeiten und klare Absprachen waren ebenfalls ein Problem. Zunächst wurde auf einer Elternversammlung kommuniziert, dass das Hogar am 8. Februar eröffnet werde sollte. Nachdem der Großteil der Eltern bereits gegangen war, fiel uns auf, dass der besagte Montag allerdings ein Feiertag aufgrund Karneval war. Daraufhin wurde die Eröffnung der Kinderheime auf den 15. Februar verlegt, obwohl die Schule bereits Anfang Februar begonnen hatte. Somit konnten viele Kinder die ersten Wochen nicht am Unterricht teilnehmen und wir hatten alle Hände voll zu tun, die Information der verspäteten Eröffnung den Familien nahe zu bringen, da viele Eltern kein Telefon bzw, Handy besitzen.
2)      Die bereits erwähnte Hierarchie der Stiftung. Dieses Jahr wurden aus der Chefetage neue Regeln auferlegt: zunächst sollten in beide Heime nur Kinder unter 12 Jahren akzeptiert werden, da diese sich besser an die Regeln der Kinderheime anpassten. Im letzten Jahr hatte es im Jungenheim Mallorca schwierige Vorfälle mit älteren Jugendlichen gegeben. Sie waren „schwer erziehbar“ und wurden deshalb vor die Tür gesetzt. Die Freiwillige des Heims Mallorca (Danie) und ich waren schockiert, dass man Menschen einfach so aufgeben wollte. Aus reiner Überforderung entschied man sich dafür die Jungs rauszuschmeißen, obwohl man sie jahrelang täglich ver- und umsorgt hatte. Jugendlichen aus armen Verhältnissen eine Perspektive geben, das ist die Vision der Fundación Amazonia. Häufig scheint diese Vision aber nur halbherzig bedacht und nie verwirklicht zu werden. Den Kindern fehlt es an Erziehung, Bildung und Empowerment-Möglichkeiten für ihre Zukunft. Die Erzieher sind überarbeitet und überfordert. Aus dem Grund hat sich für das Dutzend Jugendlicher, die Ende vergangenen Jahres aus dem Hogar Mallorca geworfen worden sind auch nichts mehr geändert: Bereits im Dezember hatte ich eine Psychologengruppe aufgesucht, die workshops zu Integration, Berufsorientierung und Sensibilisierung zu verschiedenen Bereichen des Lebens geben. Die für die Jungs zuständige Erzieherin hatte mir damals begeistert ihre Unterstützung versprochen aber hat am Ende nichts getan, damit das bereits in die Wege geleitete Ausgangsprogramm für die Jungs zu Stande käme.
Ich sehe sehr viel Potenzial in der angeleiteten Erziehung der Jugendlichen in Kinderheimen für eine bessere Zukunft. Was schwierig für mich ist, ist zu akzeptieren, dass mein Traum der nachhaltigen (Aus-)Bildung und das Ermöglichen von Perspektiven für diese Kinder noch nicht bei meiner jetzigen Arbeitsstelle umgesetzt werden.



Nun ein paar Bilder aus dem „süßen Haus“:
Die neue Musikanlage, mit der die Kinder nun während der Hasaufgabenzeit Lern-/Konzentrationsmusik hören. Auch während der Zahnputz-Party abends im Patio wird die Anlage verwendet. Die Mädels sind begeistert- vielen Dank an alle Spender, denn da mehr Geld als benötigt zusammen gekommen ist, haben wir investiert...:)

Der schließbare Mülleimer für die Küche! Endlich keine Ameisen mehr.

Anstatt der neuen Therme und der Duschköpfe wurden Eimer für die Lebensmittel gekauft. Ich habe mit der Leiterin der Stiftung gesprochen und ihr deutlich gemacht,dass ich einen Teil der Kosten aufgrund der zusammengekommenen Spendengelder übernehmen könnte. Obwohl wir uns letztes Jahr mehrmals beschwert hatten, wusste die Leiterin scheinbar nichts von der Insuffizienz der Therme. Sie versicherte mir alsom die Kosten zu übernehmen und bat mich in etwas Anderes zu investieren. Da ich persönlich letztes Jahr während der Ferien mit meiner Chefin die Horror-Zustände in der Speisekammer beseitigt habe, fiel mir ein wie wichtig es wäre die Vorräte vernünftig in verschlossenen Eimern zu lagern. Das Mehl wurde uns allerdings bereits mit Motten und Würmern verseucht geliefert. Ich wundere mich nicht, dass die Bauchschmerzen, die ich das vergangene Jahr hatte, nun nicht mehr da sind, seitdem ich mich entschieden habe, nicht mehr im Kinderheim zu essen. Das Mehl sollte dann gesiebt werden, um es von dem Ungeziefer zu entfernen und weiterverwenden zu können. Alerdings bleiben die Eier des Ungeziefers auch im gesiebten Mehl...

Die Sonnengirlande über der Tür des Wohnzimmers..das Wohnzimmer ist ein Projekt,was sich stärker in die Länge zieht als erwartet. Ich hoffe, es im März fertig zu stellen...es ist einiges an Näharbeit zu tun.

Ein Resultat der zwei Monate, die Vanesa und ich während unserer Ferien gearbeitet haben. Die Wand im Büro ist schön gestrichen, das Bücherregal geordnet, alte Medikamente aussortiert und Vieles mehr. Uns fehlen allerdings noch einige Kinder- und Jugendbücher, damit die Kinder mehr Lust aufs Lesen bekommen.


Das Einschreiben von 36 Mädchen in den Schulen war ein Haufen Papierkram. Normalerweise machen die Eltern diese Arbeit und ich war nicht besonders begeistert, die Elterm von dieser Verantwortung zu befreien, aber es ist Regel der Fundación, die Kinder anzumelden.

Weiterer Papierkram..Gemeinsam mit meiner Chefin 36 Mal die Liste der ausgeliehenen Objekte abschreiben, weil es angeblich an Geld für Kopien fehlte. Anstatt 50 Cent zu investieren und 3 Stunden primitiver Arbeit zu sparen... ebenfalls etwas frustrierend, da ich mir während dieser Zeit lieber Gedanken um die Kinder und psyhco-pädagogische Erziehung gemacht hätte.

Nähen für das Wohnzimmer: Meine Gastmutter Martha hilft mir die Nähmaschinen einzustellen und zu verstehen. Sie ist Schneiderin und weiß sehr viel von ihrem Handwerk, sodass sie mich reichlich unterstützt.

Die kleine Sofía, die im Dezember operiert wurde am Lesen. Sie liest Jim Knopf mit Begeisterung, die kuriosen Namen und Orte sind noch etwas schwierig,aber sie ist eine regelrechte Leseratte. Ich hoffe, dieses Jahr die Kinder daran gewöhnen  zu können mehr zu lese...:)



Karneval in Tarija
Neben der ganzen Arbeit, möchte ich einen kleinen Einblick in mein Privatleben geben. Für mich ist es noch immer eine Herausforderung mir genügend Freizeit zu nehmen bzw. in meiner Freizeit nicht in Gedanken bei Möglichkeiten der Verbesserung der Lebensqualität der Mädels im Misk’y zu sein. Dieses Jahr ist nicht nur ein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, sondern auch ein Jahr persönlicher Entwicklung. Die sozialen Kontakte, die ich habe aufbauen können, helfen mir aber sehr gut, das Erleben der wunderbar vielfältigen Kultur Boliviens nicht zu vergessen.
Gemeinsam mit meinem Freund Gustavo reiste ich in seine Heimatstadt Tarija, im Süden Boliviens. Die Reise war abenteuerlich, da es über Karneval einen Streik/ Stillstand der Transporteure gab. Nichts desto trotz wollten wir unbedingt reisen, da wir bereits Tickets für Partys dort hatten. Es war beeindruckend die Ausmaße des Streiks zu sehen.  Die Reisebusse standen quer auf den Straßen und versperrten den Ein-/Ausgang zur Stadt. Um diesen Blockierungen zu entkommen, mussten wir einige Kilometer zu Fuß laufen. In den Abschnitten zwischen den Blockierungen, gab es Transportmittel, die uns zur nächsten Blockierung fuhren. Die ganzen Prozesse erschienen mir sehr kreativ: Anstatt die versperrte Straße zu nutzen, fuhren die Autos im trockenen Flußbett und Straßenverkäufer machten das Geschäft ihres Lebens, indem sie allerlei notwendige Dinge auf den genutzten Wegen anboten. Alles lief nach dem Motto: Nichts ist unmöglich.
Angekommen in Tarija:
Tarija ist die Stadt, die mit allen existierenden negativen Stereotypen des Lebens in Bolivien aufräumt. Hier herrscht verhältnismäßig wenig Armut, es wird viel investiert, gebaut und erneuert. Ich fühlte mich sofort wohl, da Tarija eine ähnliche Größe wie meine Heimatstadt Hannover hat und genauso flach und grün ist. Die Plazas, Straßen, Gassen und Autos sind modern und elegant. Man sieht viele Radfahrer und Läufer[- ebenfalls Heimatgefühle! J] Die Landschaft um Tarija herum ist atemberaubend schön! Weinberge, Wiesen, Flüsse, Berge…Alles scheinbar unberührt, regelrecht magisch.
Bolivien ist regional stark unterschiedlich geprägt. In Tarija ist somit (nach Auffassung von stolzen Bolivianern und nach meinen Erkenntnissen :p) Kultur, Mentalität und Lebensgefühl ein anderes, als in anderen Regionen oder Städten Boliviens. Mir gefällt die Stadt aufgrund ihrer Landschaft, des Sports, der Sommeratmosphäre inklusive Grillen und Gitarrenklänge und natürlich wegen der Leute, die ich kennenlernen durfte.
Karneval in Tarija war eine perfekt Verbindung von Abenteuer, Erholung, Party und Kultur. Am Rosenmontag war ich auf einer Party in einem Hotel. Noch nie habe ich so gut gefeiert und im Pool mit High Heels und Kleidung getanzt. Die Leute waren in Feierlaune und tanzten zu Dance-Musik. Das war ein wirklich wahnsinnig gutes Erlebnis- Tomorrowland Bolivia sozusagen.
An anderen Tagen gab verschiedene Tanzumzüge (Corsos) mit beeindruckenden Performances. Ich merkte, dass ich es vermisse Chacarera, Cueca und Gato zu tanzen, die einzigen drei Tänze, die ich bis jetzt von all‘ den vielen bolivianischen Folklore-Tänzen gelernt habe. So gerne würde ich mehr Zeit in diesem faszinierenden Land verbringen, um neben all der Arbeit mehr Freizeit zu haben, um die Folklore- Tänze lernen zu können. Ein Jahr in Bolivien reicht nicht annähernd, um das Land richtig kennenzulernen. Ein Teil von mir wird immer zurückkommen wollen, zurück zu den Menschen, meinen Kindern, meiner Familie& Freunden als auch den Landschaften.
Abschließend nun auch noch ein paar Fotos aus meinem Kurzurlaub in Tarija...

Warme Sonnengrüße sendet,

Eure Matthia
Der erste Blick auf Tarija...

Kostümparty:Verkleidung innerhalb von 10 Minuten. Es war eine spontane und superwitzige Aktion, bei der mein Kleiderschrank und meine Schminke als Kostümmaterial herhielten.
Erst überrascht, als ich zum Tanzen beim Karnevalsumzug aufgefordert wurde...dann völlig besgeistert. :P

Auch die berühmte KOA, das Danke sagen/ das Bitten um Etwas an die Mutter Erde (Pachamama), habe ich miterlebt. Jeder Nachhaltigkeits-, Umweltwissenschafts- oder Ökologiestudent sollte nach Bolivien und das Zusammenleben mit der Natur beobachten. Natürlich erzählen viele Freiwillige von der Kontaminierung der Städte, von der Ignoranz bei der Müllentsorgung etc. Ich habe allerdings auch schon häufig das andere Extrem sehen können...
Umweltbewusstsein, das Bewusstsein seine geliebte "Mutter Erde" nicht sauer zu machen. :) Selbst auf den Karnevalsumzügen brachten die umliegenden Dörfer das Thema Umweltschutz ins Spiel. Sie schmückten Fahrzeuge mit ihren Produkten und es waren unglaubliche Konstruktionen und Kunstwerke aus recyceltem Material (meist Plastikflaschen) zu sehen. Wirklich beeindruckend die Kreativität der Menschen.

Lago Ssan Jacinto: Ein Ort, an dem es noch bezahlbar ist dort zu leben, wo Berge und Wasser aufeinander treffen. Das Foto ist mir leider nicht gut gelungen, da ich meinen Blick von der tatsächlichen Schönheit kaum abwenden konnte. Ich fühlte mich erneut "zu Hause", diesmal aber aus Erinnerung an die Berge und das Meer in Vancouver.
Ein regelrecht magischer Ort, davon soll es Unmengen in Tarijas Umgebung geben. Ich hoffe, dieses Jahr noch häufig dort hinreisen zu können, um weitere Orte in der Natur dort zu erkunden.

Umengen an Weintrauben...
 
 Ein weiterer Aspekt des Lebens in Tarija: der Wein. Ich kenne mich nicht gut mit Wein aus und habe es immer mehr mit Prestige als mit Genuss assoziiert, Wein zu trinken, da er in Europa so teuer ist. Affektiert fand ich es etwas zu trinken, was eigentlich gar nicht schmeckte.
Das Gefährliche am Wein Tarijas ist, dass er wirklich natürlich süß und lecker schmeckt.Für umgerechnet weniger as fünf Euro bekommt man in der berühmten Casa Vieja leckeren und immer noch handgemachten Qualitätswein.
Ein paar gut gelaunte Grüße aus der Casa Vieja und bis zum März...:)